Wofür wir stehen und was wir ändern sollten

Seite 3

7. Die Verteilungsfrage aufzuwerfen, heißt nicht die Systemfrage zu stellen …
Mit seinem Zeit-Interview hat Kevin Kühnert den Blick auf die Verteilungsfrage gelenkt. Dies ist positiv hervorzuheben, weil er damit verdeutlicht, dass die SPD erkennt, dass die Marktwirtschaft nicht von sich aus alle Probleme der Einkommens- und Vermögensverteilung löst, sondern dass es staatlichen Handlungsbedarf gibt. Problematisch und negativ ist, dass gleichzeitig die Systemfrage gestellt wurde. Denn damit werden erneut die politischen Gegner gestärkt; einerseits die politische Rechte, bei der die Infragestellung des Systems Markenzeichen ist, andererseits die Grünen, die nun als verantwortungsvolle Partei auf der linken Seite des politischen Spektrums wahrgenommen werden, die die Verhältnisse im Rahmen des Systems ändern wollen.  

8. … sondern kompetente sozialdemokratische Finanz- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Zwischen den Hartz-Gesetzen und der Kollektivierung und Verstaatlichung von Unternehmen gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sozialdemokratische Finanz- und Wirtschaftspolitik neu zu denken und damit – langsam – neues Vertrauen aufzubauen. Dabei sollten wir uns von den Neoliberalen (darunter auch Grünen) nicht durch Vorwürfe ins Bockshorn jagen lassen, wir würden alte sozialistische Konzepte aus der Mottenkiste holen, die sich schon in der Vergangenheit als falsch erwiesen haben. Wirtschaftspolitik á la Karl Schiller und Helmut Schmidt war weder sozialistisch noch falsch. Dass sie ist nicht einfach 1:1 ins Zeitalter von Globalisierung, EU-Integration und Währungsunion übertragen werden kann, ist auch selbstverständlich. Dennoch wäre es ein Gewinn, wenn wir z.B. verdeutlichen würden, dass wir als Regierungspartei nicht gewillt sind, eine mögliche Rezession einfach so hinzunehmen, sondern bereit sind, alle schon jetzt verfügbaren finanzpolitischen Ressourcen zu ihrer Bekämpfung einzusetzen, wenn sie kommen sollte. Dass dabei das Augenmerk auf staatliche Ausgaben und Investitionen, z.B. für den Wohnungsbau, statt auf Steuersenkungen liegen sollte, könnte man ebenfalls unmissverständlich zum Ausdruck bringen. Zudem ließe sich ganz marktwirtschaftlich argumentieren, denn die negativen Zinsen, zu dem sich der Bund Geld leihen kann, zeigen, dass die Investoren den Staat geradezu beknien, sich stärker zu engagieren. Man kann über die konkrete Ausgestaltung der Grundrente diskutieren, aber an ihrer Finanzierung kann sie nicht scheitern. Gleichzeitig gilt es, den Faktor Arbeit zu verknappen, damit die Gewerkschaften deutlich höhere Löhne, auch im Niedriglohnsektor, durchsetzen können. Das Argument vom Fachkräftemangel ist ein neoliberales Argument. Wenn Fachkräfte fehlen, soll die Wirtschaft „die gefälligst ausbilden“ (Helmut Schmidt 2011 (!)). Es ist nicht Aufgabe sozialdemokratischer Politik, die Marktmechanismen auf dem Arbeitsmarkt durch Zu- und Einwanderung in welcher Form auch immer außer Kraft zu setzen, vor allem nicht, wenn es um  Arbeitsmärkte geht, auf denen Löhne erzielt werden, die ein Hundertstel des Gehalts von Vorstandsmitgliedern großer Unternehmen betragen.

9. Mut und Kraft zur Konzentration auf das Wesentliche ist erforderlich. Mut, weil wir mit einem solchen Kurs das Risiko eingehen, dass manche, die weiterhin SPD gewählt haben, nun auch noch vergrault werden, weil sie „ihre“ Themen nicht mehr ausreichend gewürdigt und verfolgt sehen. Sie müssen wir bitten und überzeugen zu bleiben, damit wir zusammen nachhaltig, also im Rahmen unseres demokratischen Gemeinwesens und sozial verträglich, diese Themen verfolgen zu können. Wohin werden die Neu-Grünen-Wähler gehen, wenn der Hype vorbei ist, sie also erkennen, dass selbst die Grünen in Regierungsverantwortung entweder ebenfalls bei der Verfolgung der ihnen angeblich so wichtigen Themen Abstriche machen müssen oder die Kosten und ökonomischen Auswirkungen einer solchen Politik offensichtlich werden? Für diesen Tag müssen wir uns wappnen, um dann sagen zu können: ja, wir mögen zwar etwas langsam sein, aber gerade indem wir die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die Spitze stellen, schaffen wir es, gesellschafts- und umweltpolitischen Fortschritt nachhaltig zu gestalten. Es gilt zu verhindern, dass auch in Deutschland ein Wechsel von „Obama“ zu „Trump“ vollzogen wird, weil damit sowohl sozialer als auch gesellschafts- und umweltpolitischer Fortschritt um Jahrzehnte zurückgeworfen würde. Kraft, weil es ein langer Weg sein wird. Denn die Bedingungen, unter denen wir heute sozialdemokratische Politik gestalten müssen, sind ungleich schwieriger als sie es waren, als 40% und mehr ihr Kreuz bei der SPD machten. Aber auch damals haben Sozialdemokraten einen langen Atem gebraucht, um endlich gestalten zu können. Sie hatten ihn, weil sie wussten, wofür sie stehen und für wen sie Politik machen.   


Mehr zu diesem Thema: